Aufwand und Nutzen von IIoT-Plattformen - Case Study und systematischer Ansatz zur Ermittlung bei der Implementierung gängiger Anwendungsfälle in KMU
Industrie 4.0 und die zugehörigen Technologien werden für Unternehmen immer wichtiger – nicht nur, um Produktivitäts- und Umsatzwachstum realisieren zu können [1]. Eine der Schlüsseltechnologien, die Industrie 4.0 vorantreiben, ist das Industrial Internet of Things (IIoT) [1-3]. Die zugehörigen Software-Plattformen und -lösungen sind von entscheidender Bedeutung, um physische Anlagen miteinander zu vernetzen und Daten zu übermitteln, zu überwachen, zu kombinieren und zu verarbeiten [2, 4]. Auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind zunehmend auf solche Softwarelösungen angewiesen; ihnen mangelt es aber häufig an Fähigkeiten, Wissen und anderen Ressourcen [5]. Um eine effiziente Aufwands-Nutzenabschätzung treffen zu können, werden in diesem Beitrag gängige IIoT-Anwendungen unter diesem Gesichtspunkt in einer praxisnahen Forschungsumgebung analysiert.
Die Einführung eines IIoT-Frameworks sowie die Implementierung von Anwendungen innerhalb dieses Frameworks führt zu verschiedenen Herausforderungen. Eine Studie von Hulla u. a. [5] über die Herausforderungen, mit denen KMU konfrontiert sind, zeigte einen Mangel an digitalen Fähigkeiten und das Fehlen einer Strategie in Bezug auf die Digitalisierung. Des Weiteren wurde die Limitierung von Zeit, Humanressourcen und Geld genannt. Zugleich werden die Vorteile der Digitalisierung nicht richtig eingeschätzt. Darüber hinaus schafft das fehlende Wissen weitere Hürden bei Entscheidungsfindungen wie z. B. bei der Auswahl der Software [9, 10].
Bestehende Ansätze zur IIoT-Softwareauswahl
Softwareauswahl fußt auf den individuellen Anforderungen der Unternehmen und Organisationen. Im schnell wachsenden Markt für IoT- und IIoT-Plattformen [11] ist initial eine Marktübersicht und -analyse bestehender Plattformen erforderlich. Die drei namhaften Unternehmen Gartner, Forrester und IDC (Gartner Magic Quadrant, Forrester Wave, IDC MarketScape) haben den Markt für IIoT-Plattformen analysiert und anhand verschiedener Kriterien kategorisiert [12]. Die Berichte bieten eine gute Ausgangsbasis, sollten aber nicht als einzige Entscheidungsgrundlage dienen [13].
Ein allgemeiner Ansatz für die Bewertung von Softwaresystemen nach [14] auf Basis der Fuzzy-Methode umfasst die Kriterien Effektivität, Effizienz, Zufriedenheit, Verständlichkeit und Sicherheit. Andere Ansätze berücksichtigen weitere Kriterien wie etwa Funktion, Technologie, Qualität, Anbieter, Output, Kosten, Nutzen und Meinung [15]. Die beschriebenen Ansätze sind gut geeignet, Software aus unternehmensspezifischer Sicht zu bewerten und zu vergleichen; sind allerdings für KMU aufgrund des hohen Zeit- und Ressourcenaufwands nur eingeschränkt umsetzbar.
Ein IoT-spezifischer und praxisnaher Ansatz nach Ullah u. a. berücksichtigt 21 Schlüsselfaktoren für IoT-Plattformen [16]. Diese Schlüsselfaktoren können verwendet werden, um die individuellen Anforderungen mit den Merkmalen der Software abzugleichen. Das Vorhandensein und die Qualität der gewünschten Softwarefunktionen werden durch Desk Research, Literatur, Websites und Whitepapers ermittelt. Folglich müssen die Programme selbst nicht verfügbar sein, um diesen Ansatz durchzuführen. Nachdem als Basis eine Vorauswahl mithilfe der oben genannten Berichte getroffen wurde, ist dieses Vorgehen für die Entscheidungsfindung durchaus geeignet und mit relativ kleinem Aufwand verbunden.
Bild 1: Kommunikationsarchitektur für die Implementierung der Anwendungsfälle.
Angepasster Ansatz zur Ermittlung von Aufwand und Nutzen
Der im Weiteren vorgestellte praxisnahe Ansatz fußt auf der möglichst konkreten Analyse von Aufwand und Nutzen wichtiger IIoT-Applikationen für KMU, um eine schnelle Nutzbarkeit zu gewährleisten. Hierzu wurden initial wichtige IIoT-Anwendungsfälle auf Basis von Literatur, Anwenderberichten und eigenen Erfahrungen identifiziert.
Die Echtzeit-Visualisierung komplexer Produktionsdaten ist einer der ersten Schritte in Richtung Industrie 4.0. Ein Anwendungsfall umfasst daher eine einfach zu implementierende Visualisierung von Echtzeitdaten für einen Überblick über Produktionsparameter und Maschinenzustände. Sie verbessert z. B. die Entscheidungsfindung, Ad-hoc-Analysen und die Zusammenarbeit unterschiedlicher Unternehmensebenen und hat positiven Einfluss auf die Gesamtanlageneffektivität [17, 18]. Der zweite Anwendungsfall dient der Detektion von Unregelmäßigkeiten bei anfallenden Prozessdaten zur frühzeitigen Erkennung von Problemen, um eine vorausschauende Wartung von Maschinen zu ermöglichen [19].
Der dritte Anwendungsfall ist eine automatisierte E-Mail-Benachrichtigung bei kritischen Ereignissen. Benachrichtigungen erhöhen die Agilität, beispielsweise bei der Anwendung in Verbindung mit einer Anomalieerkennung oder bei Maschinenausfällen.
Im vierten Anwendungsfall wird ein intuitives Steuerungssystem für Produktionsaufträge realisiert. Hiermit kann die Bedienung von Maschinen oder die Erstellung von Fertigungsaufträgen deutlich vereinfacht und an variable Bedingungen angepasst werden – auch ohne ein installiertes Manufacturing Execution System (MES).
Für die praxisnahe Evaluation der identifizierten Anwendungsfälle wurde eine passende IIoT-Plattform ausgewählt. Die Kategorie "Leader" des Gartner-Magic-Quadranten diente als Vorauswahl, da die enthaltenen Plattformen für die meisten KMU mit industriellen Anwendungsfällen in anlagenintensiven Branchen geeignet sind [20]. Die getroffene Vorauswahl wurde anschließend hinsichtlich des Funktionsumfangs, basierend auf den 21 Schlüsselfaktoren [16] analysiert und die Plattform ThingWorx des Anbieters PTC ausgewählt. Sie wird im Gartner-Magic-Quadrant 2021 [20] sowie in der IDC MarketScape 2021 [21] und in der Forrester Wave Q3 2021 [22] für IIoT-Plattformen als führend genannt und der Funktionsumfang entspricht den Anforderungen der identifizierten Anwendungsfälle. ThingWorx ist eine cloudbasierte IIoT-Plattform. Sie ermöglicht die Erstellung von Lösungen für industrielle Anwendungsfälle, ohne dass tiefgreifende IT-Kenntnisse erforderlich sind [23].