Das wird immer stärker werden

Max Kettner arbeitet beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft, ist für Förderprojekte zuständig und leitet das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum in Berlin. Ein Gespräch über die Digitalisierung vor und in Zeiten von Corona.

Schaut man sich Studien, wie die des Digitalverbandes Bitkom an, dann ist es um die Digitalisierung des Mittelstandes hierzulande nicht gut bestellt. Welche Branchen haben einen besonderen Nachholbedarf? 

Das kommt auf den Bereich der Digitalisierung an. Das lässt so pauschal nicht beantworten. Im Durchschnitt relativ weit vorne sind laut Digitalisierungsindex der Telekom Banken, Versicherungen und die Informations- und Kommunikationsbranche. Weiter hinten dran waren bisher Handel, Handwerk und das Baugewerbe. 

 

Sind das auch die Branchen, die bei Ihnen in Berlin anfragen? 

Seit wir 2016 gestartet sind, nahmen rund 2500 Unternehmen an unseren Veranstaltungen und Workshops teil. In Berlin und Brandenburg gibt es allerdings rund 300.000 Unternehmen. Daher bilden die Anfragen natürlich nur einen Bruchteil der Unternehmen ab. Da geht’s dann aber quer durch die Bank. Interessant sind auch die Anfragen von Spezialanbietern. In einem Fall ging es darum, das Unternehmen zu unterstützen, die Produktionsdaten vernünftig in ein ERP-System einzugliedern. Bei unserer ersten Recherche stellten wir dann fest, dass dieses hochdigitalisierte Unternehmen nicht einmal eine eigene Website hat. 

 

Versuchen sich die Unternehmen immer noch so lange es geht, vor der Digitalisierung zu drücken?

Schaut man sich Studien dazu an, dann kommen die zu dem Schluss: Die Digitalisierung schreitet voran. Wir hatten ganz am Anfang den Auftrag: Sensibilisieren Sie den Mittelstand für die Notwendigkeit der Digitalisierung! Diesen Schritt haben wir weitgehend hinter uns. Die Unternehmen merken, welche positiven Auswirkungen die Digitalisierung haben kann – die Beschleunigung von Prozessen, steigende Produktqualität, bessere Neu-Kundengewinnung und mehr Umsatz. Ich würde nicht sagen, dass sie so lange warten, bis es schmerzt. Es ist aber doch so, dass technologische Entwicklungen unfassbar schnell voranschreiten und umso länger man wartet, umso schwerer fällt der erste Schritt.

 

Ist die Corona-Krise denn nun ein Weckruf, die digitale Transformation anzuschieben? 

Ja, absolut. Der Mittelstand gibt laut KfW-Digitalisierungsbericht ungefähr 17.000 Euro pro Jahr für die Digitalisierung aus. Ich kann mir vorstellen, dass sich das nun ändert. Es war sicher ein Weckruf für gewisse Teilbereiche der Digitalisierung. Wenn es beispielsweise um Remote-Arbeiten geht, Home-Office, den Online-Austausch und digitale Führung. Und auch den ganzen Bereich der Reisen betrifft es. Was auch eine Rolle spielt, sind die Bereiche Nachhaltigkeit und Lieferketten. Unternehmen schauen nun genauer hin und fragen: Wo kommen meine Rohstoffe und vorproduzierten Waren eigentlich her? Dafür entsteht im Moment eine neue Sensibilität und da werden auch neue Risiko-Szenarien erdacht. 

 

Was heißt das für die Themen, die bei Ihnen nachgefragt werden? 

In unserem ersten interaktiven Online-Workshop ging es beispielsweise um digitale Geschäftsmodelle. Wir haben aber auch Video-Tutorials veröffentlicht zum Arbeiten im Home-Office und welche kostenlosen Tools man dafür nutzen kann. So was hatten wir vorher gar nicht in unserem Plan. Das mussten auch wir schnell aus der Hüfte schießen. Generell ist die Zahl an Projektanmeldungen gestiegen. Wir haben normalerweise zwischen fünf bis sechs Projektanmeldungen im Monat. In den letzten drei Wochen hatten wir schon 16.  

 

Bei den Projektanmeldungen wenden sich einzelne Unternehmen an Sie. Was passiert dann? Wie ist der Ablauf?

Wir haben den Auftrag den Mittelstand bei der digitalen Transformation zu unterstützen –  kostenfrei und anbieterneutral. Unsere Sperrspitze sind die Projekte. Die werden von den Unternehmen angemeldet und wir stimmen uns dann intern ab, welche davon wir betreuen. Wir können nicht jedes Projekt unterstützen. In den letzten vier Jahren hatten wir 220 Anfragen und davon rund 90 auch angenommen. In diesen Fällen gehen wir dann in die Unternehmen hinein und schauen uns an: Was genau benötigen sie? Was wollen die Mitarbeiter? Was benötigen die Kunden? Und anhand dessen erhält das Unternehmen dann ein Konzept an die Hand oder einen Prototypen. Wir kalkulieren rund fünf bis 20-Personen-Tage dafür. Wir überbrücken den Zeitraum, an dem das Unternehmen einen internen Bedarf erkennt bis zu dem Punkt, an dem es sich einen Anbieter für die Umsetzung holt und interne Transformationsprozesse angestoßen werden können. Wichtig dabei ist es, die Mitarbeiter von Anfang an mitzunehmen, um die Akzeptanz zu fördern.

 

Ist das bei der Unternehmensführung noch immer nicht angekommen?

Ich glaube schon, dass das angekommen ist. Es ist auch absolut erfolgsentscheidend. Nehmen wir das Handwerk, wenn es beispielsweise darum geht, mobile Endgeräte vor Ort einzusetzen. Damit können dann Schäden erfasst oder Aufträge angenommen werden. Was nutzt es, wenn die Endgeräte auf dem neuesten Stand sind und ich eine tolle Software habe, die mit dem ERP-System in der Firma verbunden ist, wenn die Mitarbeiter das fehlerhaft nutzen. Ich glaube zwar, dass die Einbindung der Mitarbeiter angekommen ist, aber auch, dass das ein sehr schwerer Teil des Prozesses ist. Wer eine Veränderung anstoßen will – ob digital oder nicht – hat mit Widerständen zu kämpfen. Da muss eine gewisse Bereitschaft für die Transformation bei den Mitarbeitern entwickelt werden und in die Unternehmenskultur einfließen. Gerade im digitalen Umfeld wird das vermutlich immer so weitergehen und immer stärker werden. 


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